Allgemeines zu den Wallfahrten:*

Manche Zeitgenossen stellen oft die Frage: "Was soll eine solche Wallfahrt?" Warum nehmen moderne Menschen solche Strapazen der Fußwallfahrt auf sich, wo sie doch in einigen Stunden das Ziel mit Auto, Bus oder Bahn erreichen können.

Hierzu kommt einige der vielen Fußpilger zu Wort: (Auszüge aus Artikeln der FAZ und Aachener Kirchenzeitung mit Ergänzungen aus eigener Wallfahrt)

Pilgermarsch zum Matthiasgrab.

Die jungen Spitzen der Tannen schwanken hell zwischen dem Blaugrün der Kiefern im kühlen Eifelwind. Sonne trocknet den Morgentau auf den Gräsern. "Alles meinem Gott zu ehren" klingt es fröhlich durch die Morgenfrühe. Das war gestern. Heute macht ein Dauerregen aus Wanderschuhen klobige Elefantenfüße, die im zähen Morast der weichen Feldwege fast steckenbleiben. Dem schwierigen Weg trotzend, singt die Wandergruppe aus vollem Hals: "So gehen wir Pilger durch Matsch, Matsch, Matsch." Ob Jesus ein humorvoller Mensch war? "Ohne Humor könnte er uns gar nicht ertragen", brummte eine der wetterbedingt vermummten Gestalten". "Und ohne ihn könnten wir dieses Sauwetter nicht überstehen", nimmt eine Dritter den Gedanken auf. Ohne ihn...

Wir sind auf Wallfahrt. "Ferien für den lieben Gott"? "Ich stehe Gott und der Kirche fern bis gar nicht mehr gegenüber", sagte einer der Teilnehmer. Warum geht er dann mit? "Ich bin gut zu Fuß, naturverbunden, möchte einmal ausbrechen aus dem gewohnten Urlaubsschema. Außerdem möchte ich versuchen, einen Gott kennenzulernen, an den ich wieder glauben, eine Kirche, mit der ich mich wieder identifizieren kann". Wallfahrt als Such- Fahrt?

Teilnehmer aus einer anderen Pilgergruppe.

Die Füße brennen. Wie viele Kilometer waren es wohl schon? Das ist eigentlich gleichgültig, denn noch mehr liegen vor einem. Aufbruch war um 5.00 Uhr früh, als es noch kühl war. Am Nachmittag steht jedoch die Sonne hoch am Himmel und heizt den Gehenden gehörig ein. 52 Frauen und Männer, pilgern auf traditionelle Weise nach Trier an das Grab des Apostels Matthias: zu Fuß. Nach vier Tagen soll das Ziel erreicht sein.

Schon bald beginnt es, in den Fußsohlen zu stechen und in den Beinen zu ziehen. Mit jedem Schritt tritt der Alltag in den Hintergrund. Die Wallfahrer kommen ins Gespräch, dabei geht es oft mehr um ihr Leben, als um Gott.

Die Kilometerzahlen - insgesamt gut 170, davon um die 50 jeweils an den ersten beiden Tagen - klingen nach mehr, als sie sind. In der Gruppe lassen sie sich leichter bewältigen als alleine. Auch hilft der Tagesrhythmus: Aufstehen im Morgengrauen, gemeinsames Abendessen um sieben oder acht Uhr. Das Gepäck transportiert ein Begleitfahrzeug. Übernachtet wird in Privatquartieren und Pensionen.

Die Zeit vergeht schnell. Morgens versammeln die verantwortlichen Brudermeisterin bzw. die Brudermeister die Pilger um sich, und im Halbdunkel der Morgenfrühe wird das erste Stück des Weges - meist verdächtig still - und unter "eineiern" so nennt man den merkwürdig schwankenden Gang nach einer Pause oder Übernachtung, zurückgelegt, bis an einem Wegkreuz oder einer Kapelle das "Morgenlob" die Gebete des Tages "einläuten".

Meditationen zur Jahreslosung an bestimmten Stellen des Pilgerweges (in 2002 lautet sie: "Ihr aber, für wen haltet ihr mich?") mit anschließendem schweigendem Marsch geben Gelegenheit über diese Losung nachzudenken, aber auch das eigene Leben zu überdenken. Standortbestimmung, nennt sich das heute.

Mehrmals am Tag ist es ein Rosenkranz, der ablenkt und oft hilft, ein beschwerliches Wegstück zu bewältigen. Volkslieder und nicht zuletzt der rheinische Humor leisten auch einen Beitrag, damit die Müdigkeit verfliegt. Auf wohl kaum einer Veranstaltung werde so viel gelacht und "gekrienest" wie hier, sagt ein Teilnehmer. Das Lachen verstummt oft nur beim Beten oder während eines ernsten Gesprächs.

Jeder Teilnehmer hat seine eigenen Anliegen für den Schutzheiligen Matthias. Ob man katholisch ist oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Für einen 32 Jahre alten Mann ist es das erste Mal. Am Abend des zweiten Tages überlegt er sogar, die Wallfahrt abzubrechen. Dicke Blasen machen dem durchtrainierten Sportler zu schaffen. Doch einen Tag vor der Ankunft in Trier ist ihm die Erinnerung an diese Gedanken fast peinlich. Fast jeder unterschätzt beim ersten Mal die Anstrengung, die die langen Tagesetappen mit sich bringen.

Schon seit mehr als 850 Jahren pilgern Frauen und Männer vor allem in den Wochen um Pfingsten an das Apostelgrab des Matthias nach Trier. Die alten Chroniken der Benediktinerabtei in Trier verzeichnen Wallfahrer aus den verschiedensten Herkunftsorten.

Seit dem 16. und 17. Jahrhundert kommen die meisten Pilger aus der Umgebung von Trier, aus der Eifel, Luxemburg, aus Köln sowie Bonn, dem Westerwald und vom Niederrhein. Überall gibt es dort St. Matthias Bruderschaften, die jedes Jahr die Wallfahrt organisieren.

Fast alle Gruppen kommen an ihrem letzten Tag auf einer Anhöhe aus dem Wald: Trier liegt vor ihnen. Soviel bebaute Fläche haben die Wanderer seit Tagen nicht gesehen. Auf dem Weg zur Basilika entlang der Mosel wird ein letzter Rosenkranz gebetet. Die Glocken von St. Matthias läuten. Die Pilger knien vor dem Grab des Heiligen nieder und bringen ihre Anliegen vor. Sie bedanken sich und berühren ihn an seinen Füßen. So ist es alter Brauch, mit einer besonderen Bedeutung nach dem beschwerlichen Weg.

Der erste Brudermeister hat die Gruppe dank der Hilfen seiner Mitstreiter heil nach Trier geführt. Ein Jahr lang hatte er die Wallfahrt vorbereitet. Und die meisten gehen an diesem Tag, trotz der Blasen an den Füßen, fast wie auf Wolken.

Das Zusammentreffen mit den Buspilgern in der Pilgermesse, das gemeinsame Feiern im Hotel in Trier und das Erlebnis des nachfolgenden freien Tages in Trier haben schon ihren Reiz.

Viele Traditionspilgergruppen gehen auch zu Fuß zurück nach Hause. Die in jüngster Zeit gegründeten Bruderschaften und Pilgergruppen fahren jedoch zurück in die Heimat. Bei allen aber ist die Ankunft zu Hause auch ein Erlebnis besonderer Art.

Nur die Frage: Wie war es?" kann keiner so richtig und treffend beantworten. Die Ausrede: "Das musst du mitmachen", ist an sich gar keine Ausrede, sondern drückt den Mangel an eine wörtliche Wiedergabe des Erlebten aus.

Aber eins verbindet fast alle Pilgerinnen und Pilger, ob sie nun ohne Blessuren nach Hause kamen oder ob sie zum "Dr. Blasius" gekürt wurden, schnell sind diese Wehwechen und alle Strapazen vergessen. Bis zum nächsten Jahr, wenn das Kribbeln in den Füßen signalisiert: Pilgerzeit. Matthias "zieht" und der Ruf erschallt: "Krüzz vüran"!

Heinz Josef Floßdorf

* Auszüge aus Artikeln der FAZ und Aachener Kirchenzeitung mit Ergänzungen aus eigener Wallfahrt.